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Wie sieht die Zukunft des Bankwesens in Europa aus?

 

Wolf Kunisch

Head of Group Strategy, Public and Regulatory Affairs

Durch aufstrebende Fintech-Unternehmen, die Kunden benutzerfreundlichere und flexiblere Alternativen zu den etablierten Fillialbanken anbieten, geraten europäische Banken massiv unter Druck: Laut einer Umfrage von Mastercard spielen 25 % der europäischen Bankkunden mit dem Gedanken, bis 2022 zu einer rein digitalen Bank zu wechseln. Konkurrenzfähigkeit ist für Banken also wichtiger denn je, um die Abwanderung ihrer Kunden zu verhindern.

Wie europäische Banken auf einem agilen Markt agieren und sich auf die Bedürfnisse ihrer Kunden ausrichten können, darüber haben wir mit Olivier Denecker, Partner im Bereich Zahlungsverkehr bei McKinsey & Company, gesprochen.

Bei McKinsey beschäftigen Sie sich seit über 22 Jahren mit dem Zahlungsverkehr und dessen Konsolidierung. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Veränderungen im Bankwesen durch die Covid-19 Pandemie? Und wie werden sich diese Veränderungen auf Verbraucher und Banken zukünftig auswirken?

Auch wenn die Pandemie den Wandel in der Zahlungsverkehrsbranche beschleunigt hat, so hat dieser bereits lange vor der Pandemie begonnen. Trotzdem waren die Verhaltensänderungen bei Verbrauchern und Unternehmen tiefgreifend: In Nordamerika beispielsweise übertrafen die Online-Kartenzahlungen zum ersten Mal in der Geschichte die Anzahl der Kartenzahlungen im stationären Handel. Auch die Verwendung von Bargeld ging in Europa und vielen anderen Teilen der Welt während der Pandemie drastisch zurück. Dies sind durchaus positive Entwicklungen, die dazu beigetragen haben, dass neue technologische Infrastrukturen schneller aufgebaut werden konnten, um Einzelhändlern und Verbrauchern effizientere Zahlungssysteme zur Verfügung zu stellen. Auch andere neue Trends wie z.B. Open Banking haben während der Pandemie einen deutlichen Aufschwung erlebt.

Diese pandemiebedingte Beschleunigung des Wandels im Payment-Ökosystem treibt die nächste Generation von Zahlungen weiter voran. Abgesehen von seinem schlechten Image während der Lock-Down-Phasen und anderen Beschränkungen wird Bargeld auch deshalb als "geringwertiges" Zahlungsmittel betrachtet, da es weder Daten noch zusätzliche Einnahmen generiert.

Welche Trends werden Ihrer Meinung nach bei den Kunden zunehmen, die Banken zu ihrem Vorteil nutzen können?

Die Anforderungen der Kunden sind im Vergleich zu den 2010er-Jahren, als Zahlungen nur im Hintergrund abliefen, drastisch gestiegen. Der Zahlungsverkehr ist viel greifbarer und erlebnisorientierter geworden, sowohl für Händler, als auch für Verbraucher. In der Vergangenheit blieb der Geldtransfer vom Absender zum Empfänger unter dem strategischen Radar der Banken, mit Unterstützung großer Technologiepartner, die diese Funktion übernahmen. Heute ist er einer der sichtbarsten Aspekte des Wandels im Bankenwesen.

Ein weiterer Aspekt des angekurbelten Wandels sind Veränderungen der Positionierung entlang der Wertschöpfungskette. So konzentrieren sich z.B. mehrere internationale Kartenanbieter nicht mehr nur auf Karten allein, sondern dringen durch den Zukauf von Unternehmen, die E-Commerce-Gateways ergänzen, in den Händlerbereich vor. In Europa sehen wir zum Beispiel viele Acquirer, die auf diese Weise expandieren wollen und gleichzeitig mit der Frage konfrontiert sind, wie sie einerseits Größenvorteile realisieren und sich andererseits spezialisieren können. Dabei kann Fokussierung für jeden in der Wertschöpfungskette einen Mehrwert schaffen. Die Banken müssen sich zum einen auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Zum anderen sollten sie eine Vision davon haben, wie ihre Zukunft aussehen kann und analysieren, ob sie alles in Eigenregie aufbauen  oder Unterstützung durch Partnerschaften und andere Allianzen in Betracht ziehen sollten.

 

Banken sind nach den sozialen Medien der von Verbrauchern am zweithäufigsten genutzte Dienstleistungsanbieter. Verantwortlich dafür ist der Zahlungsverkehr: Heutzutage gehen Bankkunden nur noch selten in eine Filiale, obwohl sie mindestens eine Zahlung pro Tag tätigen. Somit müssen sich Banken stärker auf den Kontaktpunkt „Zahlung“ konzentrieren. Diese Verlagerung geht einher mit den steigenden Bedürfnissen und Anforderungen der Kunden, dem wachsenden Wettbewerb und dem massiven Investitionsbedarf, um wettbewerbsfähig und konform zu bleiben. All dies hat sich für die Banken zu einer großen Baustelle entwickelt, auf der es viel zu tun gibt.

Was würden Sie Banken raten, um mit den technologischen und digitalen Veränderungen in der Zahlungsverkehrsbranche Schritt halten zu können und diese für sich zu nutzen?

Die strategischen Fragen, die sich jede Bank stellen sollte, lauten: "Wo und wofür wollen wir stehen?". Viele der von den Banken angebotenen Produkte sind "Must-Haves" mit wenig Differenzierungspotenzial. Es gibt aber auch Bereiche, in denen es sehr wohl möglich ist, sich von der Masse abzuheben. Sobald die Vision feststeht, gibt es eine weitere Frage zu beantworten: "Wie gut sind wir wirklich im Vergleich zu anderen Banken?". Durch die Kombination dieser beiden Dimensionen lässt sich herausfinden, in welchen Segmenten eine Bank führend sein will und kann. Um dieses Ziel zu erreichen, sind Investitionen unabdingbar.

Für eine ambitionierte Bank mit einem erfahrenen Management sowie einer klaren Vision, besteht die Herausforderung oft darin, den Fokus nicht zu verlieren. Die meisten Banken möchten das ganze Portfolio abbilden, was in der Regel nur Großbanken mit hohen Budgets gelingt. Um mit der Marktentwicklung Schritt zu halten, benötigen Banken einerseits Unterscheidungsmerkmale und andererseits Produkte und Systeme, die auf dem neuesten Stand sind. Leider sind die meisten Bankensysteme kaum auf schnelle Veränderungen ausgerichtet.

In den letzten Jahren sind Banken einem verstärkten Wettbewerb durch neue Marktteilnehmer ausgesetzt: Fintechs, Zahlungsverkehrsorganisationen, die Token-Industrie, Neobanken und Challenger-Banken dringen in den Markt. Können neue Technologien allein helfen, zu bestehen oder können Partnerschaften der richtige Weg für die Banken sein?

Natürlich können Banken eine Partnerschaft anstreben, die ihnen beim Aufbau ihrer Kompetenzen und Entwicklung von Lösungen hilft. Sie können aber auch einen Teil ihrer Geschäfte komplett an einen Partner abgeben, der diesen weiterentwickelt. Die meisten Banken konzentrieren sich auf die Wertschöpfung, indem sie Partnerschaften mit anderen Banken oder Spezialisten für die Erstellung von Versorgungsleistungen oder die Auslagerung von Dienstleistungen eingehen. Banken können auch Partnerschaften in jenen Bereichen eingehen, in denen sie Differenzierungspotenzial sehen, z.B. durch einen Partner, der besondere analytische oder vertriebliche Kompetenzen mitbringt. Durch Partnerschaften können die Banken den Weg zur Marktreife beschleunigen und gleichzeitig die Investitionen auf mehrere Akteure verteilen.

Natürlich gibt es auch im Bankwesen kein Universalrezept für alle: Einige Banken besitzen in 15 Ländern einen Marktanteil von 5 %, während andere Banken über einen Anteil von 50 % in einem Land verfügen. Manche Banken zählen primär Privatkunden zu ihrem Kundenstamm, während andere Banken hauptsächlich Firmenkunden bedienen. Die Investitionen, die erforderlich sind, um alle Kunden zu erreichen, sind eines der Fragezeichen, das in unterschiedlichem Maße durch Technologie, Wettbewerb und regulatorische Belange beeinflusst wird. Allerdings investieren Banken nur einen kleinen Teil ihres Geldes in ihre Unterscheidungsmerkmale. Der größte Teil fließt in die Anpassung an Marktanforderungen und gesetzlichen Vorschriften.

Die ganze Welt bewegt sich in Richtung Digitalisierung und Banken werden wie alle anderen Akteure gleichermaßen davon profitieren. Die Frage ist nur, wer sich am schnellsten anpassen und diesen neuen Kontext für sich nutzen kann. Das Vertrauen in Banken ist nach wie vor sehr hoch: Wenn es ihnen gelingt, diese Stärke einzusetzen und durch ein digitales Erlebnis zu bereichern, haben sie gute Erfolgschancen. Die Voraussetzungen dafür sind aber nicht bei allen Banken gleich gut. Sie müssen darüber nachdenken, in welchem Bereich sie führend sein können und wo sie nachziehen möchten. Außerdem muss ihnen bewusst sein, in welchen Bereichen ihre Stärken und Schwächen in Bezug auf Technologien, Größenordnung usw. liegen. Wo sie ihr Transaktionsgeschäft fortsetzen wollen, aber keine wirkliche Notwendigkeit zur Differenzierung sehen, könnten sie von den Investitionen eines Partners oder einer Interessensgemeinschaft profitieren, um Entwicklungen zu beschleunigen oder Kosten zu senken. Outsourcing bedeutet nicht, dass die Banken ihren Fokus verlieren; es bedeutet, dass sie einen Fokus gewählt haben. Damit stellen sie sicher, dass das Management bestimmte Initiativen im Blick behält und sie für den Rest der Aufgaben auf einen kompetenten Partner setzen können.

Ein Kommentar von Wolf Kunisch, Head of Group Strategy, Public and Regulatory Affairs bei Worldline Global
"Die Strategien der Banken im Payment-Bereich sind für Worldline entscheidend" - Wolf Kunisch

 

Herr Kunisch, glauben Sie, dass Partnerschaften der richtige Weg für die Banken zum Erfolg ist?

Bei Partnerschaften geht es um Spezialisierung und Investitionen. Banken haben heute dank ihrer Kundenbeziehungen einen hohen Stellenwert, es ist jedoch mitunter für Banken schwierig, diese Beziehungen optimal zu nutzen, da dies für die Banken erhebliche Investitionen erfordern würde. Es gilt abzuwägen: Entweder gehen Banken kommerzielle Partnerschaften ein, bei der sie ihre Kundenbeziehungen nutzen können, um gemeinsam mit einem Experten neue Geschäftspotenziale zu finden. Oder sie schließen eine Partnerschaft auf Beteiligungsbasis, bei der der Wert der Investition anders definiert werden kann als anhand der eigenen Kundenbeziehungen. Es gibt sicherlich gute Gründe, warum einige Banken bestimmte Geschäftsbereiche nicht ganz aus der Hand geben wollen. Ich kann aber auch nachvollziehen, welche Schwierigkeiten Investitionen mit sich bringen können und wie hart der Wettbewerb um Spezialisierungen sein kann.

Wie halten die Banken ihr Sicherheitsniveau aufrecht, wenn sie neue Partnerschaften eingehen?

Für den Zahlungsverkehr gelten besondere Sicherheitsanforderungen, die sich von den durchschnittlichen Sicherheitsanforderungen für Banken unterscheiden. Das beste Beispiel hierfür ist PCI-DSS, der Payment Card Industry Data Security Standard. Dieser wurde vor 15 Jahren eingeführt und veranlasste Banken dazu, nach Partnern zu suchen und neue Prozesse zu etablieren, da sie PCI-DSS nicht in vollem Umfang selbst durchführen, sondern auslagern wollten. Das ist natürlich ein sehr altes Beispiel, aber all die neuen Anforderungen, auch in Bezug auf Vorschriften, Regeln, PSD2 usw., erschweren es den Banken, aus einer Investitionsperspektive mitzuhalten. Die gesamte spezialisierte Zahlungssicherheit wird daher am besten von Zahlungsdienstleistern übernommen – oder von jenen Banken, die genug Geld haben, um das Problem selbst zu lösen.

Können Banken auch bei Partnerschaften ein gutes Kundenerlebnis gewährleisten?

Der Fokus ist hier vor allem das B2B-Geschäft, in dem Händler daran gewöhnt sind, nur einen einzigen Ansprechpartner bei der Bank zu haben, es aber auch kennen, mit unterschiedlichen Parteien für verschiedene Angelegenheiten zu verhandeln. Solange dies für alle Beteiligten klar ist und der Prozess funktioniert, sehe ich hier keine Probleme: Wenn die Bank der Hauptabsprechpartner des Kunden bleibt, kann sie problemlos mit jemandem zusammenarbeiten, der das Operative übernimmt.